Wasser ist von Natur aus ein Querschnittsthema. Die fehlende Integration des Gewässerschutzes in andere Politikbereiche zu integrieren ist der Hauptgrund dafür, dass die meisten Flüsse, Seen und Küstengewässer in der EU keinen guten Zustand erreichen. Es höchste Zeit für eine bessere Umsetzung der guten Gesetze, die auf EU-Ebene gelten.
Die Stiftung Living Rivers ist Mitglied des Europäischen Umweltbüros (EEB) in Brüssel, Europas größtem Dachverband von Umweltorganisationen. Zusammen mit Partnern aus ganz Europa beteiligen wir uns an der Diskussion über die Zukunft der Wasserpolitik der EU.
Gastbeitrag: Brief von WWF-Gewässerschutzreferent Tobias Schäfer an die Mitglieder der Fraktion der Liberalen im Europäischen Parlament vom 10. Juli 2023
Von der Freiheit der Flüsse und der Notwendigkeit,
unsere Kulturlandschaft zu revitalisieren
Ein Appell an die Liberalen im Europäischen Parlament, am 12. Juli für ein EU Nature Restoration Law zu stimmen.
Sehr geehrte Abgeordnete der Fraktion Renew Europe,
Sie haben die Gelegenheit, bei einer als Nischenthema verkannten Abstimmung Europa einen großen Dienst zu erweisen: Mit einem klaren Votum für die Freiheit der Flüsse. „Rios libres – die Liberalen“, so ungefähr. Worum es geht? Es geht darum, ein wichtiges Gesetzesvorhaben der EU nicht zu beerdigen, bei dem es um nichts weniger als die Revitalisierung unserer Kulturlandschaft geht.
Wasser in der Landschaft halten
Im EU-Parlament steht am 12. Juli 2023 das EU Nature Restoration Law zur Abstimmung, das Renaturierungsgesetz der EU. Es ist eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben im Rahmen des sogenannten Green Deal, den die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ausgerufen hatte. Das furchtbare Wortungetüm von der „EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ halte ich für einen Übersetzungsfehler und der verstellt womöglich den Blick darauf, was zur Abstimmung steht: Sie als unsere Europaparlamentarierinnen und -parlamentarier entscheiden über ein Gesetz, das die dringend notwendige Revitalisierung unserer Kulturlandschaften europaweit voranbringen soll. Die deutschsprachigen Christdemokraten üben sich dem Vernehmen nach fast straußenhaft in strikter Verweigerung, deshalb kommt es nun auf Sie an: die Liberalen. Lehnen Sie als Liberale das Renaturierungsgesetz ab, dann wird es keines geben und vom Green Deal bleibt wenig übrig. Stimmen Sie dafür, dann können Europas Flüsse wieder hoffen. Denn um unsere Flüsse steht es nicht gut und um unsere Wasserressourcen auch nicht.
Nach den Dürren der letzten Jahre dürften es alle gemerkt haben: Ohne Wasser sitzt die Landschaft auf dem Trockenen. Was wir in Zukunft in erster Linie brauchen, sind keine neuen Staubecken und Fernwasserleitungen, sondern wir brauchen eine Rückbesinnung auf das Wasser als das Lebenselixier, das den Naturhaushalt am Laufen hält: Wir brauchen mehr natürlichen Wasserrückhalt
in der Landschaft und wir brauchen lebendige Flüsse. Wasser ist Leben, so einfach ist es. Unsere ausgedörrten Felder, Wiesen und Auen dürsten danach. Geben wir es ihnen zurück! Was uns die Dürren der letzten Jahre zeigen, ist doch dies: Wir konnten die Landschaft auf schnellstmöglichen Abfluss trimmen, weil es früher weniger Trockenperioden gab. So kann es aber in Zeiten des Klimawandels nicht weitergehen. Es ist ja nicht so, dass es nicht mehr regnen würde in Deutschland, aber der Niederschlag verteilt sich anders. Wir müssen die Landschaft wieder feuchter halten, wir müssen sie kühlen, wir müssen den Wasserabfluss eher verzögern als beschleunigen und wir müssen versuchen, die Auswirkungen von Wetterextremen abzumildern.
Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzung
Bei dem anstehenden EU-Gesetz geht es geht alsoum nicht weniger als um eine Revitalisierung unserer Kulturlandschaft. Das EU Nature Restoration Lawist ein Gesetz, das die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts wiederherstellen will, wie es im Bundesnaturschutzgesetz schon seit Langem heißt. Nein, es geht nicht um Wildnis. Es geht auch nicht um die Aufgabe jeglicher Nutzung, sondern es geht ganz im Gegenteil gerade um die Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzungsfähigkeit der Naturgüter. Um es im Sinne aller Liberalen unter uns zu sagen: Es geht um Freiheitsgrade, die wir uns erhalten. Dafür müssen wir aber unseren Umgang mit dem Wasser in der Landschaft ändern. Wenn es um die Freiheit zur Nutzung der Natur geht, dann besteht diese nur innerhalb von Grenzen, die die Natur selbst uns setzt. Dies ist ein Kernelement der sozialen Marktwirtschaft. Und global gesprochen sind es die planetaren Grenzen, die wir respektieren müssen. Die Dürren haben es uns gezeigt: Wir haben es übertrieben, wir haben die Landschaft ausgepresst.
Als Gewässerschutzreferent muss ich hier auch kurz auf die Flüsse eingehen, auf den Wert lebendiger, dynamischer und frei fließender Flüsse. Denn die Wiederherstellung eines frei fließenden Charakters europäischer Flüsse auf einer Länge von 25.000 Kilometern ist ein Herzstück des EU Nature Restoration Law. Wiederherstellung heißt hier Rückbau von unnützen Barrieren wie Schwellen oder Wehren, die den Fluss in ökologisch isolierte Abschnitte zerstückeln, weil sie Wanderungen von Fischen und den Sedimenttransport flussabwärts behindern. Sehr wichtig dabei ist die Unterscheidung zwischen natürlichen Fließgewässern, die unter Verbau leiden und denjenigen, die als künstliche Gewässer oder Gräben für die Entwässerung oder als Vorfluter angelegt wurden. Bei letzteren kann eine angepasste Stauhaltung segensreich wirken. Bei natürlichen Gewässern
jedoch gilt: Ein Fluss ist ein Fluss, wenn er fließt – und zwar möglichst ungehindert. Nur dann kann er seine Funktionen im Naturhaushalt gut erfüllen, nur dann können wir ihn nachhaltig nutzen.
Moor muss nass
Ich komme zum Schluss. „Moor muss nass“, pflegt Till Backhaus, der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern gerne zu sagen. Er hat Recht! „Wald muss kühl“, möchte ich ergänzen, „Aue muss grün“ und „Bach muss frisch“. So könnte man es zusammenfassen. Aber man könnte es auch mit einem Begriff von Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann sagen: Es geht um die Aussicht darauf, dass uns in Deutschland nachhaltig nutzbare Landschaften und lebendige Flüsse erhalten bleiben.
Mein Appell an Sie als Liberale im Europäischen Parlament lautet: Bitte stimmen Sie am 12. Juli 2023 dafür, die Verhandlungen zum EU Nature Restoration Law nicht zu beenden, sondern sie fortzusetzen. Europas Flüsse werden es Ihnen danken!
Tobias Schäfer
Referent für Gewässerschutz beim WWF Deutschland
#RestoreNature-Kampagne: für ein ehrgeiziges Gesetz zur Wiederherstellung der Natur
Das von der Europäischen Kommission im Juni 2022 vorgeschlagene neue Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law), das auf die Wiederherstellung von Ökosystemen für die Menschen, das Klima und den Planeten abzielt, wird im Mai 2023 im ENVI-Ausschuss zur Abstimmung gestellt. Im Juni 2023 wird das Europäische Parlament seine Plenarabstimmungdurchführen (Mitte Juni).
In diesem Zusammenhang unterstützt die GRÜNE LIGA die Kampagne #RestoreNature des EEB, die sich für die Verabschiedung eines ambitionierten Gesetzes einsetzt.
Dieses Gesetz ist von grundlegender Bedeutung für die Schaffung eines Governance-Rahmenszur Wiederherstellung besonders gefährdeter Ökosysteme, um die Anpassung an den Klimawandel zu verbessern, die Ernährungssicherheit und das Wohlergehen der Menschheit und aller Lebensformen auf unserem Planeten zu gewährleisten.
Die Mitgliedstaaten müssen nationale Wiederherstellungspläne aufstellen, die sowohl flächenbezogene Wiederherstellungsziele als auch indikatorbezogene Wiederherstellungsziele enthalten. Dies sollte die Einführung eines integrierten Ansatzes für die Wiederherstellung auf europäischer Ebene ermöglichen.
Die wichtigsten übergreifenden Ziele sind die folgenden:
Wiederherstellungsziele für mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete bis 2030
Bis 2050: Maßnahmen für ALLE wiederherstellungsbedürftigen Ökosysteme
Die Wiederherstellungsziele sind in die folgenden Kategorien unterteilt:
Geschützte Lebensraumtypen, die in Anhang I der Habitat-Richtlinie definiert sind
Lebensräume geschützter Arten im Rahmen der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie
Marine Lebensräume, die über die Habitat-Richtlinie hinausgehen
Städtische Ökosysteme, u. a. durch die Einrichtung von blau-grünen Infrastrukturen
Vernetzung von Flüssen: Beseitigung von Hindernissen, um bis 2030 den Status "frei fließend" für mindestens 25.000 km Flüsse zu erreichen (EU-Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt 2030)
Bestäuber
Agro-Ökosysteme
Waldökosysteme
Trotz einiger positiver Schlüsselelemente, wie dem EU-Ziel von 20 % für wirksame und flächenbezogene Wiederherstellungsmaßnahmen oder den Zielvorgaben für die Wiederherstellung von Mooren im Rahmen des landwirtschaftlichen Teils der NRL, müssen einige andere verbessert werden:
Fairer und effektiver Beitrag der Mitgliedstaaten zum 20 %-Ziel (klar und durchsetzbar)
Erhöhung des Anspruchsniveaus der flächenbezogenen Wiederherstellungsziele (Umsetzung des Großteils bis 2040)
Umsetzbare Ziele für die Meere (Unvereinbarkeit mit der Fischereipolitik u.a.)
Zeitgebundene %-Ziele für die Wiederherstellung von Flüssen: Zeitplan fehlt, Fokus auf den Aspekt des freien Fließens muss besser berücksichtigt werden
Integration des Ziels "10 % Landschaftselemente" (kleine Tümpel usw.)
Vollständige Wiedervernässung von entwässerten Mooren
Die Ziele für Überschwemmungsgebiete müssen verstärkt werden
Beteiligung der Öffentlichkeit an den nationalen Wiederherstellungsplänen (Rechenschaftspflicht)
Solide Vorgaben für die Umsetzung, einschließlich ausreichender Finanzierung
Der Vorschlag für eine Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Proposal for a regulation on nature restoration) der von BirdLife International, ClientEarth, dem EEB und dem WWF im August 2022 gemeinsam verfasst wurde, enthält weitere Einzelheiten zu diesem Thema.
Wenn Sie sich selbst oder Ihre Organisation an der #RestoreNature-Kampagne beteiligen und aktuelle Informationen erhalten möchten, tragen Sie sich bitte unter diesem Link in die Mailingliste ein: Mailingliste #RestoreNature
Die Wasserrahmenrichtlinie - Das EU-Wassergesetz
Die Wasserrahmenrichtlinie der EU (WRRL) markiert seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 2000 den Beginn einer neuen Ära der europäischen Wasserpolitik. Zum ersten Mal wurden anspruchsvolle Ziele für den ökologischen Zustand von Oberflächengewässern definiert sowie ein verbindlicher Zeitrahmen für ihre Erreichung, samt entsprechender Anforderungen für das Monitoring. Es gilt zudem ein Verschlechterungsverbot für den Zustand der Gewässer.
Für die Bewirtschaftung der Flusseinzugsgebiete werden Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme aufgelegt. Die zuständigen Behörden müssen hierbei ein hohes Maß an Transparenz gewährleisten und die Beteiligung der Öffentlichkeit fördern. Die Flussgebietsbewirtschaftung im Rahmen der WRRL basiert auf einer Kombination von gesetzlichen Bestimmungen wie Ordnungsrechts- und Planungsinstrumenten sowie einer Reihe ökonomischer Instrumente, die auf dem Verursacherprinzip beruhen. Hiermit ist die WRRL weiterhin ein Vorbild für eine fortschrittliche Umweltpolitik in Europa.
In ihrem „Fitness-Check“ der Wasserrahmenrichtlinie kam die EU-Kommission 2019 zu dem Schluss, dass die WRRL „fit for purpose“ ist und der Rechtstext nicht geändert werden muss.
Viele der Themen, die im Fitness-Check erörtert wurden, wurden bereits 2012 im Rahmen des „Blueprint to Safeguard Europe’s Water Resources“ diskutiert. Die Position der EEB zum Blueprint ist noch immer lesenswert.
EEB Blueprint Position (2012), PDF herunterladen
Die Haltung der Stiftung Living Rivers zum Fitness-Check stellt ein Artikel von Tobias Schäfer über die Zukunft der Wasserpolitik der EU dar.
Lebendige Flüsse für Europa (Tobias Schäfer, FUE Rundbrief 6/2018), PDF herunterladen
Wirtschaft für Wasser und Umwelt arbeiten lassen
In Übereinstimmung mit dem Verursacherprinzip befürwortet die Living Rivers Foundation die Umsetzung von Wasserpreisen und anderen wirtschaftlichen Anreizen, die dazu beitragen können, eine effizientere Wassernutzung zu erreichen und die Erreichung von Umweltzielen zu unterstützen. Am wichtigsten ist jedoch, dass schädliche Subventionen wie Direktzahlungssysteme im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU überarbeitet werden müssen.
Die Living Rivers Foundation ist Partner des Leibniz-Instituts für Süßwasserökologie und Binnenfischerei (IGB Berlin) und ihrer Projekte zum River Ecosystem Services Index (RESI).
Als Teil des European Water Movement hat die Living Rivers Foundation an der Ausarbeitung eines Briefes mitgewirkt, in dem die Parlamentarier der Europäischen Union aufgefordert werden, sich für einen demokratischen Governance-Rahmen für Wasser einzusetzen und gegen jegliche Kommerzialisierung, Finanzialisierung und Privatisierung von Wasser während der UN-Wasserkonferenz im März 2023 zu kämpfen.
Sie können den Brief hier lesen und herunterladen (englisch):
Brief der Europäischen Wasserbewegung an die EU-Parlamentarier